vote06 // cdw und LAN kommentieren die Nationalratswahl 2006

Mittwoch, August 23, 2006

nicht pflegeleicht...


bundeskanzler wolfgang schüssel (övp) hat erstmals persönlich zur aktuellen pflegedebbatte um seine verstorbene schwiegermutter, die vergangenen samstag durch einen leserbrief in der tageszeitung "der standard" losgetreten wurde (vote06 berichtete), stellung genommen: "wer sich mit mir matchen will, soll es direkt mit mir aufnehmen und nicht mit meiner angeheirateten verwandtschaft, die nichts dafür kann", sagte den schüssel den "salzburger nachrichten" an seinem urlaubsort st. gilgen am wolfgangsee.

wer sich mit mir matchen will, soll es direkt mit mir aufnehmen und nicht mit meiner angeheirateten verwandtschaft, die nichts dafür kann.

für den kanzler steht folgendes fest: seine schwiegermutter sei nach einer schwierigen operation vor zwei jahren für einige monate von einer mitarbeiterin einer ausländischen hilfsorganisation betreut worden. eingefädelt habe das seine schwägerin, die sich auf empfehlung des krankenhauses an den pflegeverein "st. elisabeth" wandte. weder er noch die familie seien sich irgendeiner schuld bewusst. "meine schwiegermutter, die ja kein pflegefall war, war auch sehr zufrieden", so schüssel. dass die slowakische hleferin nur eine minimale bezahlung von 2 bis 3 euro pro stunde erhalten habe, bestreitet schüssel: es seien auch kost und logis bereit gestellt worden. seine familie sei darüber niemanden rechenschaft schuldig: "ich wehre mich gegen kriminalisierung und schnüffelei."

ich wehre mich gegen kriminalisierung und schnüffelei.

die reaktionen auf schüssels stellungnahme zur pflegedebatte um seine verstorbene schwiegermutter reichen von "schüssel lässt die menschen im stich" (doris bures, spö) bis zu "pflegskandal zeigt werteverlust in der övp" (werner neubauer, österreichischer seniorenring/fpö).

in hinblick auf die grundsätzliche pflegedebatte gestand schüssel ein, dass ein problem mit arbeitskräften im pflege- und betreuungsbereich in österreich bestehe. noch vor gut zwei wochen hatte der kanzler gemeint, dass es im pflegebereich keinen notstand gebe. nun will schüssel die noch fünf jahre laufende sperre für osteuropäische arbeiter im pflegebereich aufheben: "das könnte in wenigen monaten geschehen". dem steht der koalitionspartner ablehnend gegenüber: bzö-chef peter westenthaler betonte, dass die übergangsregelung am arbeitsmarkt für die neuen eu-bürger bleiben müsse, "damit österreich nicht von billigarbeitskräften überschwemmt wird". in einer umfrage des nachrichtenmagazins "profil" sprechen sich 70% der österreicher für eine legalisierung von pflegekräften aus osteuropa aus. derzeit gebe es rund 40.000 illegal arbeitende arbeitskräfte in österreich, schätzen experten. die einkommensgrenze für legal arbeitende schlüsselkräfte liegt derzeit bei 1.500 euro im monat. wirtschaftsminister martin bartenstein (övp) will deren zahl durch eine herabsetzung der einkommensgrenze auf 1.200 euro erhöhen.

weiter vorschläge liefern bzö und spö: sozialministerin ursula haubner fordert 200-300 millionen euro für einen pflegescheck, der den 250.000 intensivpflegefällen zu gute kommen soll. die wiener sozialstadträtin renate braune will eine sonderquote für ausländische pflegekräfte sowie eine kurzfristige pflegelderhöhung. wirtschaftskammerpräsident christoph leitl (övp) findet wenig zustimmung für seinen vorschlag, arbeitslose zum pflegdienst zu verpflichten.


weitere fälle von "illegaler pflege" sind in den familien von bundespräsident heinz fischer, övp-staatssekretär helmut kukacka und spö-europasprecher caspar einem aufgetaucht.

die aktuelle debatte um illegale ausländische pflegekräfte kommt zu einem denkbar ungünstigen zeipunkt: in der "heißen phase" des wahlkampfs kann keine der parteien der versuchung widerstehen, aus dem sensiblen thema "pflegenotstand" politisches kapital zu schlagen. wenig verwunderlich also, dass der bundeskanzler von allen seiten attackiert wird, weil seine mittlerweile verstorbene schwiegermutter von einer slowakischen pflegerin zu billigstkonditionen betreut wurde. freilich wirft diese tatsache kein gutes licht auf schüssel, der noch vor zwei wochen dekretierte, es gebe keinen "pflegenotstand". das tamtam um den "pflegekanzler" ist aber wohl nicht viel mehr als ein peinlicher fauxpas einer reichen und geizigen familie. worum es tatsächlich geht, ist wie der sozialstaat österreich in den nächsten jahren die wachsende zahl von pflegebedürftigen alten menschen zu versorgen gedenkt. dazu braucht es konstruktive vorschläge statt wahlkampfrhetorik.
(cdw)

fotos: ap, övp

webtipps:
http://www.salzburg.com/sn/06/08/23/artikel/2315252.html
http://derstandard.at/?id=2559872
http://derstandard.at/?id=2560498
http://derstandard.at/?id=2560796
http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=i&id=580039
http://www.krankenbetreuung.at/ (verein "st. elisabeth")
http://derstandard.at/?id=2556678 (leserbrief von hans weiss im "standard")